Theodor Rocholl
Leider sind die Rocholl-Gemälde nicht dauerhaft zu besichtigen, da die Räume auch für Sonderausstellungen genutzt werden. Es werden jedoch regelmäßig thematisch unterschiedliche Ausstellungen angeboten.
Der Maler Theodor Rocholl stammt aus Sachsenberg/Waldeck, wo er am 11. 6. 1854 geboren wurde. Nach Studien in Dresden, München und Düsseldorf beginnt er 1883 seine Karriere als »Schlachtenmaler«.
Die Beschäftigung mit dem deutsch-französischen Krieg 1870/71 macht ihn bekannt und bringt erste Erfolge. Ab 1897 bis 1914 nimmt er an mehreren Feldzügen während der Balkankriege teil, 1900 im Auftrag des Kaisers auch an der Niederschlagung des Boxeraufstandes in China.
Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs endet auch seine Beschäftigung mit militärischen Motiven, sieht man von Auftragsarbeiten ab.
Rocholl wendet sich jetzt der Landschaftsmalerei zu, findet einen neuen Schwerpunkt in der Darstellung von Pferden. Aus dem »Schlachtenmaler« wird der »Pferdemaler«. Die Anregungen zu seinen Bildern bekommt er an der Sababurg im Reinhardswald bei Hofgeismar. Am 14. September 1933 stirbt Theodor Rocholl nach einem Verkehrsunfall in Düsseldorf.
Annäherung an einen deutschen Maler
In 2004 jährte sich der Geburtstag eines vielseitigen Künstlers zum 150. Male, dem die Reinhardswaldregion außer für stimmungsvolle Natur- und meisterhafte Pferdebilder besonders für die frühe Umsetzung des heute selbstverständlichen Naturschutzgedankens durch die Rettung des „Urwalds“ an der Sababurg verpflichtet ist - Theodor Rocholl. Dieser an drei deutschen Akademien ausgebildete Maler ist - wie kaum ein anderer seiner Zunft - verlästert und gefeiert, in schnell verfügbare Wertungsschubladen gesteckt worden1.
Theodor Rocholl wurde fast 80 Jahre alt und war in seiner Lebenszeit mit erheblichen politischen Verwerfungen und Änderungen des Kunstbegriffs konfrontiert. Auch wenn Rocholl die betreffenden Entwicklungen ablehnte, so wurde er selbst doch davon beeinflusst: Der sich als seiner deutschen Ausbildung verpflichtet begreifende Rocholl änderte die „erlernte“ Farbenpalette nach den Aufenthalten auf dem Balkan und in China deutlich zu helleren, fremden Tönen2; trotz seiner Zurückweisung des „sozialen Realismus“ seiner Zeit malte er die (meisten) Bilder aus dem Weltkrieg unter genauer Beobachtung der Brutalität des Krieges und des Leidens des einzelnen Menschen3; der ihm verhasste politische Umbruch in Deutschland 1919, mit dem ein gewisser Verlust seiner alten Themen einherging, macht Rocholl bereit für die fast alleinige Natur- und Menschenschilderung; er betont seine klare Ablehnung aller französischen Einflüsse (der „Isten“, wie er sagt), aber nach vielen anderen, früheren Gemälden (z. B. „Gebet der Brigade Nuri bei Domokos“4) ist sein letztes fertiggestelltes Bild der Urwaldeichen „deutlich ein Tribut an die Auswirkungen der von Frankreich kommenden Strömungen“5. Rocholl war vielmehr ein eher unsicherer Maler, der sich Einflüssen - vielleicht sogar unbewusst - öffnete und überall aufnahm, was ihm und seinem Gefühl für Ästhetik entsprach6.
Rocholl war kein Kunsttheoretiker, der die Auseinandersetzung mit anderen Künstlern zu den Fragen der Zeit suchte, sondern immer eher ein Einzelgänger, der seine große Begabung, sehr genau zu beobachten, zum alleinigen Antrieb seiner Arbeit machte. Rosemarie Bergmann sagt richtig: „Das Auge führt ihm Feder und Pinsel, nicht ein komplizierter Denkprozess“7.
Rocholl fühlte sich als ein „deutscher Maler“ in der Art seines herausragenden Lehrers Karl von Piloty (der durch Monumentalisierung und Idealisierung der Geschichte hervortrat). Während er anfänglich der pathetischen Gestaltungsweise Pilotys folgte, löste er sich später davon (und kehrte nur bei Auftragsbildern, z. B. von Veteranenvereinen, dahin zurück).
Als das Stadtmuseum Hofgeismar mit dem Sammeln von Bildern des Malers begann, waren die Rettung des Sababurger Urwalds, die heimischen Motive und die Einschätzung des Großteils der militärischen Themen als „Historienmalerei“ (und nicht als „Kriegsbilder“, gar als „Kriegsverherrlichung“) die Grundlage der Entscheidung. Die inzwischen entstandene Sammlung hat diese Vorgaben bestätigt. Rocholls Werke lassen sowohl seine große künstlerische Begabung erkennen, wie in ihnen der malende Zeitzeuge greifbar wird, der zahlreiche Ereignisse aus seiner langen Lebenszeit im Bild festhielt. Der Betrachter erhält heute mit dem Blick auf die Gesamtheit der im Stadtmuseum Hofgeismar verwahrten Werke die Voraussetzung für ein gerechtes Urteil. Dies gilt als kritische Anmerkung zu vielen seiner Rezensenten, die ihr Urteil über den Maler auf eine schmalere Basis, gelegentlich nur auf ein einzelnes Gemälde stützten.
Zu den über ihn publizierten Widersprüchlichkeiten hat Theodor Rocholl durch seine Autobiographie „Ein Malerleben“ (Berlin 1921, wenig erfolgreich zunächst als „Ein Maler an sechs Fronten“ vertrieben) selbst beigetragen. Mancher, der den naturgemäß subjektiven Darstellungen und Wertungen unkritisch folgt, wird sich durch Rocholls künstlerisches Werk widerlegt finden.
So bildete Rocholl - neben Portraits überwiegend von Militärpersonen verschiedener Nationen - im „Malerleben“ weit vor anderen Themen (Pferde, Landschaften) militärische Motive und Szenen ab. Der Reinhardswald und seine Region sind unter über 100 Abbildungen gerade mal mit fünf Werken vertreten - ein Missverhältnis, das zu Fehlschlüssen eingeladen hat, sich aber leicht aus der Aktualität z. B. der Weltkriegsbilder und der zeittypischen, aber auch gerade Rochollschen Verklärung des deutschen Sieges über Frankreich 1870/71 herleitet7.
Es verwundert nicht, dass Rocholls Rezensenten diese vermeintliche Selbsteinschätzung zum Maßstab ihrer eigenen Annäherung an den Maler bzw. zu seiner Ablehnung gemacht haben.
Ludwig Bing z. B., der 1941 den „Kriegsmaler Rocholl“ - zeittypisch - als „energiegeladenen, draufgängerischen“ Schlachtenmaler rühmte, schätzte die Bilder aus dem „nächsten Umkreis der Sababurg“ gering: „Bei einer Würdigung des künstlerischen Lebenswerks Rocholls kommt diesen Arbeiten nur eine untergeordnete Rolle zu“8. Eine spätere Rezension einer Ausstellung 1954 dagegen vermerkt - gleichfalls zeittypisch - in Umkehrung dieser Feststellung (und zum Teil wahrheitswidrig): „Theodor Rocholl war zu Unrecht als Schlachtenmaler abgestempelt …“. Es sprächen u. a. die zahlreichen ReinhardswaldBilder „für den Maler, der sich früh von der Historienmalerei löste und seine gesunde und sinnliche Reaktion auf die schöne Welt in impressionistisch gemalten … Bildern herausstellte“9. Diese Beispiele können für viele ähnliche stehen. Man ersieht aus ihnen die Schwierigkeit einer vom Zeit„geschmack“ unbeeinflussten Annäherung an diesen Maler.
Die häufige Benennung Rocholls als „malender Kriegsberichterstatter“, gar „Reporter“, macht deshalb nur ungenügend deutlich, welche umfassende Leistung ein Maler erbringen muss, der - noch dazu in der Konkurrenz zu den hier ebenfalls geforderten Fotografen - den Kern eines Ereignisses, also auch die vollzogenen oder bevorstehenden Bewegungen, die Gewichtung von Personen etc. festzuhalten und damit Abläufe in der anderen Dimension seines Mediums verständlich zu machen versteht. Diese besondere Begabung trug Rocholl den Beifall Kaiser Wilhelms II. und später auch der nationalsozialistischen Kunstkritiker ein (vgl. die zahlreichen Nachrufe 1933 oder die Ausstellung Hagen 1940); diese Ehrungen haben es Nachgeborenen schwieriger gemacht, die wirkliche Qualität der Rochollschen Werke zu würdigen.
Die Erfassung (die Auswahl, Betonung etc.) bei der Gestaltung ist immer zugleich Interpretation, auch wenn der Maler/Fotograf nicht darüber reflektiert. Das entstehende Gemälde/Foto schildert dabei eine Situation aus einer bestimmten persönlichen Perspektive. Es ist nicht das Ereignis selbst, es ist nicht einmal „die ganze Wahrheit“, es ist individuelle künstlerische Komposition. Der Betrachter seinerseits interpretiert und versteht das Gemälde umso besser, je geschulter seine Augen sind und je umfangreicher das Wissen ist, vor das er das Gesehene stellen kann.
Die große Kontinuität in Theodor Rocholls Gesamtwerk bildeten Pferde- und Landschaftsbilder, die er immer weiter perfektionierte. Schon Julius Schnorr von Carolsfeld, Rocholls erster Lehrer in Dresden (ein protestantischer Historienmaler und Zeichner) erkannte in Pferdezeichnungen die künstlerische Begabung des Jugendlichen. Dieser beherrschte es Zeit seines Lebens („der größte Pferdemaler dieses Jahrhunderts“11), dem Tier neben den Rassemerkmalen einen individuellen Charakter zu geben, seine edlen Bewegungen in der Erstarrung des Bildes ahnen zu lassen. Das ist die große Kunst der Tiermalerei, die Rocholl vollständig beherrschte, ganz gleich, ob er seine Pferde in eine kriegerische oder eine friedliche Szene stellte.
Die als Hauptmotiv oder als Sujet dargestellten Eichen sind unverkennbar; der Reinhardswald mit seinem Fichten- oder Mischwald und seinen Lichtungen, dazu den kleinen Tälern und Einschnitten ist malerisch treu gestaltet; die von Fachwerkhäusern gesäumte Straße in Eberschütz ist - bei aller Freiheit der künstlerischen Gestaltung - eine hessische Dorfstraße. Selbst die zahlreichen Skizzen oder Aquarelle, die z. B. in China oder während des Ersten Weltkrieges entstanden sind, eröffnen dem Betrachter die Möglichkeit, die charakteristischen, für die jeweilige Landschaft typischen Merkmale zu erkennen, obwohl oder gerade weil Rocholl nicht „realistisch“, d. h. vom Objekt her, malt, sondern sich in einer eigenen akzentuierenden Bildersprache an den Betrachter wendet. Ein weiterer Ausdruck seiner malerischen Begabung ist Rocholls Fähigkeit der Menschenschilderung. Die zahlreichen Portraits, Zeichnungen wie Gemälde, bilden einen wesentlichen, bisher nur am Rande gewürdigten Teil des Gesamtwerks des Malers.
Im Laufe der 30 Jahre (2007) des Aufbaus der Rocholl-Sammlung des Stadtmuseums Hofgeismar ist eine ansehnliche Dokumentation von Werken eines Malers zusammengekommen, der an den wichtigsten deutschen Akademien studiert hat und viele qualitätvolle Zeugnisse seiner Arbeit gerade aus der Reinhardswaldregion hinterlassen hat, wie diese erstmalige Zusammenstellung der ein Thema betreffenden Werke Theodor Rocholls im Stadtmuseum Hofgeismar hoffentlich deutlich gemacht hat.
(Helmut Burmeister)
Anmerkungen
1 Das Theodor-Rocholl-Archiv des Stadtmuseums Hofgeismar verfügt über mehrere hundert Zeitungsartikel zu Ausstellungen mit Werken Rocholls bzw. als Nachrufe, dazu kunstgeschichtliche Darstellungen, Lexikatexte etc. zu Rocholl, die die Grundlage einer besonderen Rezeptionsgeschichte sein könnten.
2 Wofür er bei Ausstellung seiner Bilder Kritik erntet. Vgl. vor. Anm.
3 Vgl. Rosemarie Bergmann: Theodor Rocholl - eine Interpretation aus der Sicht unserer Zeit. - In: Jb. Ldkr. Kassel (19)82, S. 83 - 90; Helmut Burmeister: Im Chaos des Krieges. Studien zum Wandel der Kriegsdarstellung im Werk des Malers Theodor Rocholl. - In: Jb. Ldkr. Kassel (19)85, S. 101 - 104.
4 Rosemarie Bergmann: Theodor Rocholl. - In: Theodor Rocholl - Landschaft und Historien. Ausstellungskatalog Hameln 1993, unpag. [S. 6 - 14, hier S.8]. - Eine „vollendete impressionistische Bildsprache“ bei Rocholls Reinhardswaldbildern sah schon Peter Andrae: Albert-Schweitzer-Schule Hofgeismar im Dienste der öffentlichen Kunstpflege. - In Hessische Heimat 6. Jg., 1956/57, H 3, S. 27 f., hier S. 28.
5 Vorh.: Stadtmuseum Hofgeismar. Das Rot der Kopfbedeckungen der türkischen Soldaten geht im Hintergrund ununterscheidbar über in die leuchtende Farbe der Mohnfelder.
6 Vgl. Helmut Burmeister und Veronika Jäger: China 1900. Der Boxeraufstand, der Maler Theodor Rocholl und das „alte China“. Hofgeismar 2000. Vgl. bes. S. 73 ff., S. 87 ff.
7 Bergmann, Rocholl 1993 [S. 6].
8 Diese einschichtige Wahrnehmung des Malers vollzieht in jüngerer Zeit der von Wend von Kalnein hrsg. Katalogband „Die Düsseldorfer Malerschule“, Düsseldorf 1979, der Rocholl - ausgehend von einem einzigen Gemälde - ausschließlich als Verherrlicher des deutschen Sieges über Frankreich 1870/71 darstellt.
9 Ludwig Bing: Theodor Rocholl. Der große Künstler, der aufrechte Deutsche, der treue Sohn seiner waldeckischen Heimat. - In: Waldeckischer Landeskalender 1941, S. 59 - 70, hier S. 63.
10 G. M. V.: Nachlassausstellung Theodor Rocholl. Eine verdienstliche Tat der Albert-Schweitzer-Schule in Hofgeismar. Kasseler Post vom 17.9.1954.
11 So zitiert bei: Norbert Humburg: Vorwort. - In: Theodor Rocholl - Landschaft und Historien, hrsg. vom Kunstkreis Hameln 1993, unpag. [S. 5]. Ähnlich Bing (vgl. Anm. 4, S. 63).