Urwald und Naturpark
Eine neue Ausstellung mit Werken des Malers Theodor Rocholl (1854 – 1933), u. a. mit mehreren Neuerwerbungen, wurde am vergangenen Wochenende im Stadtmuseum Hofgeismar eröffnet. Im Mittelpunkt stand diesmal nicht die künstlerische Einordnung, sondern allein die Belegqualität der Rochollschen regionalen Malerei.
Museumsleiter Helmut Burmeister, verantwortlich z. B. für die sehr große Rocholl-Sammlung („ein eigenständiges Museum“), forderte eingangs zu neuen Denkwegen auf. Er schlug vor, den Ausstellungstitel „Er rettete den Urwald und malte den Naturpark“ zu verändern in „Er malte den Urwald und rettete den Naturpark“, um so einen neuen interessanten Blick auf den Maler zu gewinnen.
Burmeister stellte wichtige Lebensdaten Rocholls in den Mittelpunkt, die die ungewöhnlich starke emotionale Bindung des Malers an den Reinhardswald erklären können. So begegnete der damals 15-Jährige 1869 erstmals der Sababurg und besonders den Beberbecker Pferden; seine Zeichnungen davon qualifizierten ihn für das Studium der Kunst, zunächst in Dresden, dann in München und schließlich in Düsseldorf. Er wurde zum „Schlachtenmaler“, wandte sich in vielen Varianten dem deutschen Sieg über Frankreich 1870/71 zu, besuchte Manöver und zog schließlich in den „echten“, türkischen Krieg gegen Griechenland auf dem Balkan.
Bei seiner Rückkehr kam er 1898 erstmals wieder in den Reinhardswald, wo sich vieles verändert hatte. Die preußische Forstverwaltung, seit dem Ende Hessen-Kassels 1866 Herrin über das ganze Gebiet, wollte über den gesamten Wald allein verfügen. Zwar scheiterte der Plan einer Sprengung der Sababurg in den 1880er Jahren, aber alle Hute- und Holzrechte (Gerechtsamen) der Dörfer und Städtchen am Waldgebiet, die z. T. seit dem Mittelalter bestanden, wurden mit Geld oder durch Landabtretung abgelöst. Das geschlossene Waldgebiet sollte für den Bau- und Nutzholzanbau sowie für die Jagd zur Verfügung stehen. Die Windwurfflächen in Fichtenbeständen unserer Zeit sind eine spätere Erinnerung an diese Pläne.
Schon 1906 schloss der immer aktive Maler einen weiteren Aufenthalt vor Ort an und wohnte bei dem alten Bauern Louis Neumann in der Sababurger Mühle. Rocholl, der gern durch das Unterholz ging, um sich neue Malperspektiven zu erschließen, muss eine unmittelbare Bedrohung und Gefährdung des nahen Eichenwaldes auf dem Kuhberg erkannt haben. Sofort setzte er sich energisch in Berlin für diesen Eichen- und Buchenwald ein, den er selbst erst 1898 kennengelernt hatte.
In seiner Ansprache hob Burmeister hervor, warum Rocholl mit seinem Antrag so erfolgreich war. Der Maler war in ganz Deutschland durch Einzel- und Gemeinschaftsausstellungen kein Unbekannter. Er hatte alle wichtigen Männer des Kaiserreichs porträtiert, war 1900/01 im Auftrag von Kaiser Wilhelm II mit den deutschen Truppen in China gewesen und hatte das großartige Erinnerungsbuch an den Boxeraufstand (1902) illustriert.
Rocholl war also als Antragsteller der richtige Mann. 1907 wurde das betreffende Waldgebiet als erstes in Hessen unter Schutz gestellt (1908 veröffentlicht), wodurch den Plänen der Forstverwaltung deutlich widersprochen wurde. Fortan bildete das „Rochollsche Glücksdreieck“ von Sababurg, Beberbecker Pferden und Urwald zusammen mit der Mühle an der Sababurg einen gesunden Kern des Waldes. Dessen Umgestaltung in einen reinen Gebrauchs- und Nutzwald war gestoppt, insofern ist es richtig zu sagen, dass der jedem Besucher bietende Naturpark von 2017 schon von Rocholl gerettet worden sei.
Nach dem Ersten Weltkrieg und dem Tod seines Lieblingssohns Karl flüchtete Rocholl zurück in den Wald, den er selbst gerettet hatte. Seine Bilder, so Burmeister zum Schluss, dürften mit dem Blick auf die aktuellen Bedrohungen durch Windräder und Salzsee „niemals letzte Zeugen eines unversehrten, gesunden Waldes“ sein.