300 Jahre Porzellan
20. März 2010 bis 20. Juni 2010
Porzellanhunde im Stadtmuseum Hofgeismar
Im Jahre 2010 jährt sich zum 300. Male die Gründung der Porzellanmanufaktur Meissen. Mit ihr beginnt die wechselvolle, im ganzen aber höchst erfolgreiche Geschichte des europäischen Porzellans.
Trotz intensiver Bemühungen (meist repressiver Art) gelang es August dem Starken nicht, das Arkanum – das ist das Wissen um die Zusammensetzung und den Herstellungsprozess von Porzellan – geheimzuhalten. Bereits 1718 wurde die Porzellanmanufaktur Wien gegründet (bis 1864, Neugründung 1923 als „Wien Augarten“). Es folgten 1746 Höchst (bis 1796, Neugründung 1947), 1747 Fürstenberg und Nymphenburg (bis heute), 1751 Berlin (bis heute, 1751 Wegely, 1761 Gotzkowski, 1763 KPM), 1755 Frankenthal (bis Ende 1799) und 1758 Ludwigsburg (bis 1824, Neugründung 1948).
In Frankreich entstanden in der gleichen Zeit die Manufakturen Chantilly (1725) und Sèvres (1756), in England Chelsea (1743), in Schweden Rörstrand (1725) und in Dänemark Royal Copenhagen (1775).
Eine eigene Porzellanmanufaktur zu besitzen galt in dieser Zeit geradezu als Ausdruck der Macht und des Glanzes eines Fürstenhauses.
War die Wiener Manufaktur noch durch Abwerbung eines Arkanisten und eines Ofenspezialisten aus Meissen entstanden, so ging die weitere Verbreitung des Herstellungsgeheimnisses von Wiener Wanderarkanisten aus. Der bedeutendste von ihnen ist Joseph Jakob Ringler, auf dessen sachkundiges Eingreifen die Porzellanproduktion vieler Manufakturen direkt und fast aller übrigen indirekt zurückzuführen ist. Auch die Flucht einiger Meissener Porzelliner durch die Ereignisse des Siebenjährigen Krieges (Sachsen war von den Preußen besetzt) trug wesentlich zur Verbreitung des Arkanums bei.
Die frühen Manufakturen arbeiteten nahezu ausschließlich für ihre höfischen Auftraggeber. Renditeüberlegungen spielten in dieser Zeit kaum eine Rolle. Das führte zu künstlerischen Höchstleistungen.
Thüringer Porzellan
Die Geschichte des thüringischen Porzellans beginnt 50 Jahre später mit der Nacherfindung des Arkanums durch Georg Heinrich Macheleid, einen Theologen und Physiker. Vom Landesfürsten von Schwarzburg-Rudolstadt wurde Macheleid die Konzession zur Gründung einer Porzellanmanufaktur erteilt. Diese Manufaktur besteht bis heute, nennt sich seit ca. 1900 „Aelteste Volkstedter“ und ist nach der Wende von „Seltmann Weiden“ übernommen worden.
Im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts wurden weitere 14 Porzellanfabriken in Thüringen gegründet. Sie alle arbeiteten nicht mehr ausschließlich für den Adel, sondern zunehmend für das erstarkende Bürgertum und für den Export. Riesiger Konkurrenzdruck führte notwendigerweise zu immer billigeren Produkten, was zu Lasten der künstlerischen Qualität ging. Eine wahre Flut von Neugründungen setzte ab etwa 1860 ein. Um 1900 gab es allein in Thüringen 246 Klein-, 40 Mittel- und 106 Großbetriebe der Porzellanindustrie. In Rudolstadt soll es um diese Zeit etwa 15 Porzellanfabriken gegeben haben. Der Bau von Eisenbahnen und die Elektrifizierung trugen zu dieser Entwicklung entscheidend bei. Als Brennstoff wurde Holz nun von Steinkohle abgelöst.
Die für die Porzellantierfigurenherstellung des frühen 20. Jahrhunderts wichtigsten Porzellanfabriken des 19. Jahrhunderts waren: Gebrüder Heubach in Lichte (1843 – 1938), Fraureuth (1866 – 1935), Metzler & Ortloff in Ilmenau (1875 – 1976) und Rosenthal in Selb (1879 bis heute, Einstellung der Figurenherstellung 1991).
Die Porzellanfigurenherstellung erlebte im 18. Jahrhundert ihre erste Blütezeit. Das 19. Jahrhundert bedeutet in künstlerischer Hinsicht vorwiegend sehr deutlichen Abstieg.
„Als man sich um 1900 wieder auf Handwerklichkeit und Materialgemäßheit besann, bekam man auch wieder den Blick für die Reize und Möglichkeiten des Porzellans“ (Paul Scheurich).
Neubeginn und Jugendstil
Dieser Neuanfang geht von der Manufaktur Royal Copenhagen aus und verbreitet sich sehr schnell in der Zeit des Jugendstils über ganz Europa. Merkmale des neuen Kopenhagener Stils sind: Abkehr von kleingliedriger Darstellung und plattem Naturalismus, Hinwendung zu maßvoller künstlerischer Stilisierung, zur großen Linie und zu glatten Flächen; Sockellosigkeit, Verwendung von Unterglasurfarben in grau-blauen Pastelltönen. Darstellung des Tieres in seiner Wesenhaftigkeit, Herausarbeiten von rassespezifischen Besonderheiten. Für Porzellanhunde: Abkehr von Beiß- und Kampfszenen. Der Hund ist nicht mehr nur Dekoration von Personengruppen oder Einzelpersonen. Er steht auch nicht mehr als Symbol für Eigenschaften oder Verhaltensweisen. Er erzählt auch keine Geschichten. Er wird in seiner Würde, um seiner selbst willen gestaltet (meist in Ruheposition).
Sehr früh hat man bei den Gebrüdern Heubach diese Anregungen aufgenommen und im Kopenhagener Stil Tierfiguren hergestellt. Ebenfalls sehr früh folgen diesem Trend Nymphenburg, Meissen und die KPM Berlin.
Fast alle bedeutenden Manufakturen und Porzellanfabriken gründen in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts Kunstabteilungen. Den Anfang machen die Gebrüder Heubach 1897. Nymphenburg und Meissen folgen 1905, Rosenthal 1908, Hutschenreuther 1918, Fraureuth 1919 usw. Die spektakulärste Neugründung dieser Art sind die von Max Adolf Pfeiffer 1908 gegründeten „Schwarzburger Werkstätten für Porzellankunst“ als Kunstabteilung der Unterweißbacher Porzellanfabrik.
Anders als in früheren Zeiten beschränken sich die Kunstabteilungen nicht mehr darauf, Entwürfe von eigenem Personal herstellen zu lassen, sondern sie bemühen sich um die Mitarbeit der bedeutendsten Bildhauer ihrer Zeit.
Viele Künstler arbeiten in dieser Zeit (gleichzeitig oder nacheinander) für verschiedene Manufakturen.
In der dreihundertjährigen Geschichte des Porzellans hat es zwei Perioden gegeben, in denen die Porzellantier-Kunst eine bedeutende Rolle gespielt hat. Meissen (Kändler), Nymphenburg (Bustelli) und später KPM Berlin schufen in der Zeit des Rokoko (18. Jahrhundert) eine Vielzahl schönster Tierplastiken, die als Tafelschmuck oder in fürstlichen Porzellankabinetten aufgestellt wurden. Fast das ganze darauf folgende 19. Jahrhundert kannte, abgesehen von späteren Ausformungen alter Modelle, keinerlei Tierfiguren in Porzellan. Erst der Jugendstil (um die Wende zum 20. Jahrhundert) begann sich wieder mit Porzellantierfiguren zu beschäftigen. Unterstützt wurde dieser Neuanfang durch ein ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verändertes Verhältnis der Menschen zum Tier infolge von Ergebnissen der Naturforschung (Charles Darwin, Ernst Haeckel, Alfred Brehm mit seinem „Tierleben“) und der Gründung zahlreicher zoologischer Gärten.
Geht es bei den Tierfiguren des 18. Jahrhunderts vorwiegend um die „dekorative äußere Erscheinung“ der Figur, wird dem Künstler der Jugendstilzeit die „Persönlichkeit“ des Tieres, seine Würde, wichtig. Art- und rassespezifische Eigenschaften werden dargestellt. Sparsame Unterglasurbemalung und künstlerische Stilisierung ersetzen Buntheit und Kleinteiligkeit.
Jugendstil und Art deco bilden die Blütezeit der deutschen und wohl auch europäischen Porzellantierfiguren-Kunst.
Seit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges geht das Interesse an Porzellantierfiguren ständig zurück. Heute spielen sie nur noch eine untergeordnete Rolle. Replikate von Figuren der Blütezeit werden den Kaufinteressenten allerdings reichlich angeboten. Rosenthal hat konsequenterweise die Figurenherstellung 1991 völlig eingestellt.
Zu unserer Ausstellung
Im Rahmen der Jubiläumsfeierlichkeiten „300 Jahre europäisches Porzellan“ zeigt das Stadtmuseum Hofgeismar eine Sonderausstellung von ca. 160 Porzellanhunden aus mehr als 20 Manufakturen aus dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, der Blütezeit der Porzellantierfiguren-Kunst.
Ein Teil der Ausstellung erläutert anhand von Modellen und Formen den Herstellungsprozess einer Porzellanfigur (Modell, zerlegtes Modell, Mutterform, Modelleinrichtung, Glühbrand, Glattbrand). Dieses Material wird uns von der Aeltesten Volkstedter in Rudolstadt leihweise zur Verfügung gestellt, wofür wir uns bei den Herren Pohl (Betriebsleiter) und Weiherer (Geschäftsführer der Mutterfirma Seltmann in Weiden) sehr herzlich bedanken.
Winfried Mätzke